#Reflexionen
Ich fand es immer schon ein wenig schade, daß die Bedeutung des Wortes 'Voyeur' derart eng auf den sexuellen Bereich eingeschränkt ist. Grundsätzlich bedeutet es ja 'Zuschauer' und die Position des Zuschauers - nicht der Zuschauer eines Spektakels, sondern der generelle Zuschauer im Leben, in allen Belangen des Lebens - war mir schon immer die liebste. Ich würde mich deswegen gern einen Voyeur nennen, würde das nicht unwillkürlich Mißverständnisse heraufbeschwören.
Das Verlockende am reinen Zuschauen ist die Entlastung von den Folgen und Verwicklungen des Handelns. Etwas, das in der Zeit des ungehemmten und umfassenden Kapitalismus zwar insgeheim ersehnt, aber inzwischen vollkommen verpönt ist. Jeder Moment passiven Verharrens gilt als Einladung an die Mitmenschen, uns die Butter vom Brot zu nehmen.
Ich erinnere mich noch an die alten Weiber meiner Kindheit, die den ganzen Tag - die Arme auf ein Kissen aufgestützt - am offenen Fenster hingen und in die Straße hinunterblickten. Trotz dieser komfortablen und wohlfeilen Position mochten sie die entlastende Rolle des Zuschauers nicht uneingeschränkt genießen. Mir kam ihr Zuschauen sogar wie ein Gaffen vor, vom Neid auf die dort unten ins Handeln Verstrickten motiviert. Heute will mir die Vorstellung einer solchen Zukunft als Fenster-Zuschauer dagegen durchaus erstrebenswert erscheinen.
Die Entlastung von den Folgen und Verwicklungen des Handelns ist auch heute noch ein Menschheitstraum (ein Menschenrecht?) Davon spricht, daß im Bereich der 'moving pictures' die Welt der Verbrecher und der Kriminalistik alles überwuchert. Handeln, das unvermeidlich ins Verderben und in den Tod führt, aus der Distanz beobachtet, verfolgt, angestarrt. Oder der Umstand, daß wir längst eine Gesellschaft von (Computer-)Spielern geworden sind. Nur ist dieser Rückzug, diese Exkulpation vollkommen von der Sphäre des Konsums aufgesogen und gesteuert. Heißt es denn nicht, die Leute 'zocken'. Was gestern noch bedeutete: sie spielen um Geld.