Andererseits betont der neue Titel jedoch stark diesen einen Mann, dieses eine Ereignis. Der Originaltitel hingegen machte viel deutlicher, dass die junge Frau sich am Beginn einer Lebensreise befindet, die wohl noch eine lange Reihe ‚feindlicher‘ Übergriffe – nicht zuletzt und Dienstherren und deren Söhne – beinhalten würde. #kunst#malerei#genremalerei#kunstgeschichte#frauengeschichte#herstory
Erst zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt erhielt das Gemälde (vermutlich im Kunsthandel) die heute übliche Bezeichnung ‚Der lästige Kavalier‘. Es ist bezeichnend, dass die Änderung des Titels den Fokus auf den Mann hin verschiebt, während er ursprünglich ganz auf der Frau lag. Diese Verschiebung erscheint einerseits passend, weil die Pointe des Bildes ja darin besteht, dass der Mann sich in die Privatsphäre der Frau drängt.
Ich sehe gerade, dass Berthold Woltzes (1829–1896) schon auf anderen Plattformen tausendfach geteiltes Gemälde ‚Der lästige Kavalier‘ nun auch auf Mastodon die Runde macht. Aus diesem Anlass will ich hier einen Thread zu dem Bild wiederholen, den ich schon vor einiger Zeit drüben auf Twitter, als es noch Twitter war, gepostet hatte …
Die realistische Genremalerei des 19. Jahrhunderts ist in der Kunstkritik meist als ‚unmodern‘ verpönt. Aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit an heutige Erfahrungen sind manche Werke dieser Gattung in den Sozialen Medien aber ausgesprochen populär. Auf Woltzes Bild trifft das in besonders hohem Grad zu, denn es zeigt eine Situation, die vielen Frauen aus eigener Erfahrung vertraut ist. Das Bild ist daher fast schon zum Meme geworden. Dadurch wurde es natürlich ein Stück weit entkontextualisiert.
Erstmals gezeigt wurde Woltzes Gemälde 1874 auf der akademischen Kunstausstellung in Berlin. Es erzielte sowohl beim Publikum wie bei der Kritik großen Erfolg; Das Journal ‚Der Bazar‘ brachte es sogar auf dem Titelblatt. Den Kern der Darstellung fasste ein Rezensent so zusammen: „In einem Coupé dritter Klasse sitzt ein sehr junges Mädchen in tiefer Trauer, zu welchem sich aus dem Nebencoupé eine sehr wenig sympathische männliche Persönlichkeit (…) in unberufen zudringlicher Weise hinüberlehnt.“
Für die zeitgenössischen Rezensenten war aber auch klar: Hier handelt es sich um eine junge Frau, die gerade zur Waise geworden ist und nun in eine fremde Stadt reisen muss, um entweder bei Verwandten unterzukommen oder eine Stelle z. B. als Kindermädchen oder Erzieherin anzutreten. Das unterstreicht auch der Originaltitel, unter dem das Bild 1874 ausgestellt war: ‚In’s feindliche Leben‘ beziehungsweise ‚Hinaus ins feindliche Leben‘, wie die Bildunterschrift im Bazar lautet.