Der leider erfolgreichste Induktionsfehler derzeit ist natürlich der, der sich gegen Immigrant*innen richtet und den gerade sämtliche Parteien bedienen als gäbs kein Morgen. Es gibt gerade weder besonders hohe Einwanderungszahlen, noch steigende Gewalt, noch irgendwelche anderen besonderen Belastungen. Es hat sich seit Jahren nichts verändert. Die Lage war völlig stabil. Dass jetzt Immigrant*innen von fast ALLEN Parteien in Gefahr gebracht werden, ist verachtenswert.
Es gibt einen Terroranschlag und die Reaktion darauf ist, dass Taschenmesser kriminalisiert werden, die gar nicht benutzt wurden und man mehr Menschen aus dem Land werfen will, die gar keine Anschläge verübt haben. Das ist keine adäquate Maßnahme sondern nur magisches Denken.
Oder wisst ihr noch, als die Ehe für Alle dafür sorgte, dass jetzt jede*r seinen Hund heiraten will? Das war das Szenario, das gegen die Ehe für Alle sprach.
Die Argumente gegen Erbschafts- und Reichensteuer funktionieren genauso: Es besteht eine mikroskopisch kleine Möglichkeit für jede*n Menschen, der gerade nicht reich ist, in seinem Leben doch noch reich zu werden. Diese Chance reicht aber, präventiv sein gar nicht vorhandenes Geld schützen zu wollen.
Beispiele gibt es genug: Ich hab das erste mal während der Corona-Lockdowns darüber geschrieben, wie Umfragen über die Maßnahmen genau das Gegenteil dessen aussagten, was über genau diese Umfragen geschrieben und gesagt wurde (http://jensscholz.com/index.php/2021/04/28/induktion-und-deduktion).
Aktuell würde ich die Cannabislegalisierung nennen. Ich sehe als Nichtkonsument keinerlei Unterschied zu vorher. Ich seh auch keine kiffenden Menschen an jeder Straßenecke oder die Schwemme an Drogentoten. Das waren aber die Horrorszenarien.
Diese völlig absurde Konstrukt ist aber das Szenario, mit dem derzeit die politischen Entscheidungen zum Bürgergeld getroffen werden.
Deshalb ist der Induktionsfehler nicht nur ein rhetorischer Trick (wenn man ihn absichtlich nutzt) oder Irrtum (wenn man drauf reinfällt), sondern gefährlich und wir alle sollten lernen, Induktion sofort zu erkennen und dann sofort darauf hinzuweisen, sobald er irgendwo auftaucht. Und er wird auftauchen: Sobald man ein Auge dafür hat, sieht man ihn überall.
Wo wir den Induktionsfehler gerade auch sehen ist beim Thema Bürgergeld. Politiker und Medien diskutieren nur über Empfänger*innen, die "faul" sind und "nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten". Denen stehen die "braven Arbeitenden" gegenüber, die das sehen und denken "dann arbeite ich jetzt auch nicht mehr". Wo wir doch Fachkräftemangel haben.
Das ist ein geradezu absurdes Fantasieszenario, das aus mehreren Details zusammengestückelt ist, die eigentlich nicht mal zusammenpassen.
Ein Beispiel, wo der Induktionsfehler super funktioniert hat ist das Heizungsgesetz. Eine Wärmepumpe kostet weniger als zB eine Gastherme und für die zusätzliche Umstellung bekommt man eine Förderung. Das Szenario war aber: Der Kauf einer Wärmepumpe macht dich Bankrott. Dafür hat man gesagt, man müsse ja das ganze Haus dämmen und eine Fußbodenheizung einbauen und schon war die Rechnung so exorbitant, wie man es darstellen wollte. Und diese Rechnung wurde zur Referenz für alle erklärt.
Populisten nutzen diesen Trick, um genau dieses Bild einer gespaltenen Gesellschaft zu erzeugen. Sie amplifizieren Extreme und mehr noch: Sie erfinden sie sogar, wenn es keine gibt. Sieht man immer dann, wenn ein Gesetzesvorhaben diskutiert wird und sofort nur noch ein einziges Szenario als Referenz für seinen Sinn oder Unsinn herangezogen wird, das aber eben nicht der 80% Normalfall ist sondern die eine enorm detailliert konstruierte Sondersituation, in der das Gesetz nicht funktioniert.
Daher werde ich hier die nächste Zeit Beispiele drunterhängen.
Ich erkläre aber erst noch mal, was der Induktionsfehler ist:
Induktion ist, wenn man von einem Detail auf das Gesamtbild schließt. Der Fehler ist, wenn man das - und das ist in Medien und Politik seit ca 15 Jahren die etablierte Norm - nur mit den Extremen macht. Dann sieht die Welt unrettbar gespalten aus. Man sieht aber nur 10% (5% von jeder Seite) der Gesamtheit. 90% ist ausgeblendet (siehe https://www.youtube.com/watch?v=xD4g4LWO52Q).
Der Grund, warum ich immer wieder erkläre, was der Induktionsfehler ist, ist dass ich glaube, dass er ein Schlüsselinstrument von Populisten ist und dass es nicht mehr funktioniert, sobald man ihn erkennt. Und es ist sehr einfach, ihn zu erkennen und seine Medienkompetenz darauf zu trainieren, ihn zu erkennen. Das ist so wie wenn man Menschen Kerning erklärt und ab diesem Moment sticht ihnen das fehlende Kerning bei jedem zweiten Werbeplakat ins Auge (was schrecklich annoying ist). 1/x
...und alles ausbremst, was die Regierung eigentlich gerade braucht, um zu machen, was sie machen will.
Das Ziel dieses Sparzwangs ist: die Ampel soll auf keinen Fall noch irgendwas zustande bringen bis zur nächsten Wahl. Die FDP ist ja eh raus, daher dient sich jetzt Merz an, indem sie für ihn die Sabotagearbeit von innen machen um das gemeinsame Narrativ zu stützen, dass die Grünen keine Wirtschaft können.
Das hat geklappt, jetzt muss er die Unternehmen aber beruhigen, dass ihre Investitionen in die Energiewende nach der kommenden Wahl nicht verloren gehen und er das Rad nicht zurück drehen wird. Daher muss er jetzt diesen seltsamen "Kurswechsel" hinlegen.
Dazu passt dann auch, dass Lindner und die FDP diesen unsinnigen Sparkurs fahren, den niemand - nicht mal die Wirtschaft - will: es ist nicht etwa so dass er nicht weiß dass der die Konjunktur abwürgt, die Infrastruktur kaputt macht...
Das ist aber kein Sinneswandel, über den man sich wundern muss. Dass die Energiewende stattfinden muss ist allen in der Politik klar, ihm auch.
Seine Kommunikation ist rein parteipolitische Taktik: es ging nie darum, die Energiewende zu sabotieren, sondern die Regierung und vor allem die Grünen.
Dazu gehört auch diese Schlagzeile, die die Bild erfunden hat (und alle Medien nachgeplappert haben), um Hausbesitzer*innen davon abzuhalten, zu früh umzustellen, ...
Ein Effekt des Induktionsfehlers (vom Detail aufs Ganze zu schließen) ist, dass man das Gesamtbild nicht sieht, sondern immer nur das Detail und wenn Medien nur noch induktiv die Welt betrachten, gibt es keine Einordnung mehr: Weder thematisch, noch historisch. Alles ist singulär und neu, Zusammenhänge gibts nicht.
Und wer diesen Trick nicht durchschaut, schreibt dann zum Beispiel dumme Kolumnen im Spiegel darüber, dass Gewalt gegen Faschisten genauso schlimm sei, wie die Gewalt, die Faschisten ausüben.
... wie Gewalt gegen Faschisten moralisch gerechtfertigt ist. Darum framen sie die Arbeit demokratischer Parteien als "Diktatur" und erreichen gleich 2 Ziele: Erstens verschieben sie ihre Gewalt jetzt in den moralisch legitimen Kontext der Abwehr von Faschismus und zweitens stellen sie Gewalt gegen sich als illegitim hin, denn sie kämpfen ja gegen eine Diktatur.
Der Grund, warum Nazis und deren rechten Helfer so gerne von einer "grüner Diktatur" reden ist, dass eine Gesellschaft sich eigentlich einig darüber ist, dass Faschisten sich nicht allein mit reden bekämpfen lassen (siehe Poppers Toleranzparadox). Denen ist also schon klar, warum sie "von Gewalt betroffen" sind und es ist ihnen auch klar, dass sie an diesem Prinzip nicht wirklich etwas ändern können. Was sie aber tun können ist, die Gewalt auf dieselbe Weise zu rechtfertigen, ...
Wer wohl die erste Talkshow ist, die die rechten Schläger einlädt, um mit ihnen mal ganz unvoreingenommen in die Debatte zu gehen, ob das noch politischer Wettbewerb ist oder es für tätliche Angriffe - zumindest in der jetzigen Zeit - vielleicht noch ein bisschen zu früh ist? #carenmiosga#maischberger#lanz